Ein Bienenstaat ist ein faszinierender Organismus: In ihm leben etwa 50.000 Bienen, und alle haben nur das eine Ziel, das Überleben des Volkes und seiner Nachkommen zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Bienen in Jahrmillionen ein perfektes System der Arbeitsteilung entwickelt. In jedem Volk gibt es drei verschiedene Arten von Bienen, und jede hat ihre ganz speziellen Aufgaben.
Der größte Teil der Bienen im Bienenstock sind Arbeitsbienen. Sie leben etwa 40 Tage lang, und jeder einzelne ihrer Tage ist fest verplant im Dienste der Gemeinschaft. Jede Arbeitsbiene hat nacheinander verschiedene Berufe: Kaum ist sie aus ihrer Brutzelle herausgeschlüpft, beginnt sie schon als Putzfrau die Wabenzellen für den kommenden Nachwuchs zu reinigen. Mit dieser Aufgabe ist sie die ersten drei Tage ihres Lebens beschäftigt
Vom 3. bis 6. Lebenstag ist sie dann dafür verantwortlich, den gewaltigen Hunger der älteren Larven zu stillen und diese mit dem sogenannten Bienenbrot - das besteht aus Honig und Blütenpollen - zu füttern.
Im Alter von 6 Tagen beginnen die "Milchdrüsen" der Bienen zu arbeiten. In ihnen produziert sie das nahrhafte Gelee Royale, mit denen die Königin und die jungen Larven gefüttert werden. Die Arbeitsbiene ist nun zur richtigen Amme herangewachsen.
Vom 10. Lebenstag an bilden sich die Futterdrüsen der Arbeitsbiene zurück, statt dessen werden nun die vier Wachsdrüsen an ihrem Hinterleib aktiv und sondern kleine Wachsschuppen ab. Die Biene ist nun in der "Baubrigade" und in der Vorratskammer der Wabe eingesetzt. Bis etwa zum 18. Lebenstag bessert sie mit ihrem selbst produzierten Bienenwachs die Waben aus und ist außerdem für die Weiterverarbeitung und Lagerung des Honigs zuständig, den die Kolleginnen vom Außendienst abliefern. Danach muß sie zum Wehrdienst antreten. Im Bienenstock gilt die allgemeine Wehrpflicht, sie dauert drei Tage.
Vom 18. bis zum 20 Lebenstag schiebt jede Arbeitsbiene Wache vor dem Stock und kontrolliert, wer hinein darf und wer nicht. In dieser Zeit unternimmt sie auch schon die ersten Ausflüge in die Umgebung, um später beim Nektarsammeln nicht orientierungslos durch die Gegend zu irren.
Nach 20 Tagen hat die Arbeitsbiene den Höhepunkt ihres Lebens erreicht: Jetzt endlich bricht sie zu langen Sammelflügen in die Umgebung auf und kehrt schwer beladen mit Nektar und Blütenpollen zurück. Dabei ist sie vorwiegend im Umkreis von 2 Kilometern um den Stock unterwegs und besucht dabei pro Tag bis zu 400 Blüten. Tag für Tag legt die eifrige Sammlerin dabei durchschnittlich 85 Kilometer zurück. Blüht es in der Umgebung üppig und bunt, können die Sammelbienen eines Volkes am Tag bis zu acht Kilo Nektar in den Stock schaffen. Das ist um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß eine einzelne Biene in ihrem Honigmagen pro Flug nuretwa 0,07 Gramm Nektar speichern kann. Nach spätestens drei Wochen sind die hauchfeinen Flügel der Honigbiene durch die Strapazen verschlissen und sie ist mit ihrer Kraft am Ende. Sie wird zur willkommenen Beute von Spinnen oder Vögeln oder sie fällt fluguntüchtig zu Boden und stirbt.
Das alles gilt allerdings im wesentlichen für die Arbeitsbienen, die im Frühjahr und Sommer geboren werden - die Sommerbienen also. Bienen, die im Herbst schlüpfen, haben ein etwas längeres Leben vor sich, denn sie sind nicht den Strapazen des Nektarsammelns ausgesetzt, sondern sorgen während der kalten Jahreszeit dafür, daß es im Stock immer schön warm ist und niemandem das Futter ausgeht. Die Herbstbienen leben in der Regel bis zum nächsten Frühjahr.
Die Drohnen sind die männlichen Bienen. Sie lassen sich von den fleißigen Arbeitsbienen versorgen und warten derweil darauf, ihre einzige Lebensaufgabe zu erfüllen: die junge Königin zu befruchten. Und für diese Bestimmung sind sie auch körperlich konzipiert: Sie sind schwerer und plumper als die Arbeitsbienen, haben ein kleineres Gehirn, sind dafür aber mit überdimensionalen Geschlechtsorganen ausgestattet. Nachdem sie es sich acht bis zwölf Tage im Stock haben gut gehen lassen, sind die Drohnen geschlechtsreif und brechen etwa Ende Mai bei warmem Wetter auf, um die junge Königin zu suchen. Diese tut ihre Paarungsbereitschaft durch Geruchsreize kund, was die Drohnen der gesamten Umgebung anlockt. So kommen gut und gerne einige tausend Männchen zusammen, denen der Sinn einzig und allein nach Paarung steht. Naturgemäß kommen nur einige wenige - im Durchschnitt zehn bis zwölf Drohnen - zum Zuge, die dann ihren gesamten Samenvorrat in die Samenblase der Königin entleeren. Diesen Erfolg bezahlen sie allerdings gleich mit ihrem Leben, denn durch das Aufstülpen des Begattungsschlauches stirbt der Drohn. Aber auch den erfolglosen Freiern bleibt nur noch eine Galgenfrist: Spätestens zum Ende des Bienenjahres im Spätsommer ist es im Stock eng geworden, der Nachwuchs ist geschlüpft, die Blüten, die den wertvollen Nektar liefern, sind verblüht. Jetzt beginnt das Volk, sich auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten und für die Drohnen hat das letzte Stündlein geschlagen: Die Arbeitsbienen verwehren ihnen das Futter, jagen sie aus dem Stock heraus und hindern sie vehement an der Rückkehr. Selbst Drohnenlarven, die noch in den Brutzellen heranwachsen, bleiben nicht verschont und werden aus dem Stock geworfen. Die Nutznießer dieser "Drohnenschlacht" sind Vögel, denen die hilflos am Boden vor dem Stock zappelnden Bienen eine willkommene Ergänzung des Speiseplans sind.
Das Leben einer Königin dauert wesentlich länger als das der Drohnen und Arbeitsbienen: Sie wird in der Regel etwa fünf Jahre alt. Dafür ist auch die stete Versorgung mit nahrhaftem Gelee Royale verantwortlich. Für diese Kost und Logis muß sich die Königin aber auch ordentlich mühen, denn sie ist die einzige Biene im Stock, die die Nachkommenschaft ihres Volkes sichern kann, die Arbeitsbienen sind unfruchtbar. Die Königin legt bis zu 3.000 Eier am Tag in die vorbereiteten und gereinigten Brutzellen - das ist mehr als ihr eigenes Körpergewicht. Während einer einzigen Saison sind das 200.000 Stück. Die Königin legt befruchtete und unbefruchtete Eier in die Brutzellen. Aus den befruchteten entwickeln sich die Arbeitsbienen - und die neue Königin, aus den unbefruchteten Eiern schlüpfen Drohnen. Der Grund für diese unterschiedliche Entwicklung ist, daß die Königin die Eier, aus denen sich Drohnen entwickeln, in größere Wabenzellen legt. Dadurch wird ein bestimmter Mechanismus nicht ausgelöst, der die Samenblase der Königin öffnet, in der sie das männliche Sperma aufbewahrt. Das vorbeikommende Ei fällt also unbefruchtet in die Wabe. Somit haben die Drohnen keinen Vater, sondern nur einen Großvater (der aber längst das zeitliche gesegnet hat, siehe oben).
Die Königin lebt in der Regel drei Jahre in ihrem Bienenvolk, dann macht sie Platz für eine Nachfolgerin. Ist es an der Zeit, daß diese ihr Ausschlüpfen mit lautem Brüllen und Tuten ankündigt, gerät das ganze Bienenvolk in Aufruhr. Die alte Königin nutzt das Durcheinander, um mit einer Anzahl von Getreuen den Stock zu verlassen und einen neuen Staat zu gründen - sie schwärmt aus. Ein solcher Bienenschwarm hängt dann zum Beispiel wenig später als lange, laut brummende Traube an einem Baum. Zur Freude des Imkers, der ihn einsammeln kann und so in den Besitz eines neuen Bienenvolkes kommt - und zum Nutzen der Bienen, denn in freier Wildbahn ohne eine Behausung könnten die domestizierten Honigbienen kaum überleben.